Heute bin ich traurig. Traurig und nachdenklich.
Auf meiner Nordic-Walking Runde rund um den Markdorfer Gehrenberg sollte ich heute morgen, um kurz nach 7, am Gehrenbergturm erleben, zu was Angst und Verzweiflung einen Menschen treiben kann: zu Selbstmord durch Sprung aus 30 m Höhe.
Ich bin dort angekommen als gerade der Krankenwagen eintraf. Gerufen hat ihn vermutlich ein Sportler, der nur einige Minuten vor mir dort vorbei kam.
Erst gestern wollte ich, nach einem Waldspaziergang mit meiner Familie, den Turm erklimmen. Doch der Zugang war geschlossen - der Corona-Pandemie wegen. Nichtsdestotrotz fiel mir auf, dass ein Mann alleine oben war. War es derselbe Mann, der jetzt tot neben dem Eingang lag? Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch nicht was diesen Menschen bewogen hat, seinem Leben auf diese Weise ein Ende zu setzen. Ziemlich sicher bin ich mir nur darin, dass nackte Verzweiflung und große Angst dem vorausgegangen sein muss. Hatte dieser Mensch niemandem dem er seine Ängste anvertrauen konnte? Wurde er damit nicht ernst genommen? Hatte er nichts und niemanden, der ihm "Halt" gab?
Hat er seine Verzweiflung, seine Ängste bewusst wahrgenommen? Oder hat er sie Zeit seines Lebens verdrängt und von sich weggeschoben? Haben sie ihn gerade jetzt überwältigt und in einer Kurzschlussreaktion zu diesem unwiderrufbaren Entschluss getrieben? Oder ging dem ein monatelanges, vielleicht auch jahreslanges Martyrium voraus, an dessen Ende die Depression gesiegt hat.
Hat die gegenwärtige Corona-Krise und damit verbundenen Ängste hier den Ausschlag gegeben? War die Krise einfach nur eine willkommene Gelegenheit das lang gehegte Vorhaben unbeobachtet umzusetzen? Oder hat die Trennung vom gewohnten Umfeld - auch von dem was bisher immer wieder für ein Aufflackern des Lebensmutes gesorgt hat, diese endgültige Entscheidung ausgelöst?
Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie wissen.
Fest steht, dass ich jetzt noch bewusster als ich es bisher ohnehin schon tue, mein Umfeld wahrnehme. Ich werde noch mehr darauf achten wie ich kommuniziere. Ich werde mehr zuhören und weniger reden.
Mit meinen Worten gehe ich sorgsamer um. Ich gebe acht alles zu unterlassen, was in der gegenwärtigen Unsicherheit weitere Ängste schüren könnte.
Ja, es braucht Mut jetzt das Positive zu sehen, wo für viele die Welt dem Untergang nahe zu sein scheint. Ja, es braucht Mut sich seinen Ängsten zu stellen und noch mehr diese mit anderen zu teilen. Und es braucht in unserer dual erlebten Welt die Einsicht, dass auf den Regen die Sonne folgt und umgekehrt; dass Freiheit nur erlebt werden kann, wenn man auch nötige Einschränkungen akzeptiert und dass zur Freude am Leben auch die Trauer über den Abschied gehört.
Heute bin ich traurig.
Und gleichzeitig bin ich mir gewiss: Auch das geht vorbei.
"Mögest du sicher und geborgen sein
und frei von innerer und äußerer Not."
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